Ansprache des Präsidenten der Republik Usbekistan, Shavkat Mirziyoyev, auf dem zweiten Gipfeltreffen „Zentralasien – Deutschland“

Sehr geehrte Delegationsleiter!

Ich freue mich aufrichtig, Sie alle begrüßen zu dürfen. Ich möchte mich dem Dank an den Präsidenten der Republik Kasachstan, Herrn Kassym-Jomart Tokayev, für den herzlichen Empfang und die hervorragende Organisation unseres Treffens anschließen.

Ich danke dem verehrten Bundeskanzler von der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Olaf Scholz, für sein Engagement für den Ausbau der vielfältigen Partnerschaft mit den Ländern unserer Region.

Unser erstes Treffen in Berlin und das heutige Gipfeltreffen bekräftigen unsere gemeinsame Absicht, einen offenen und konstruktiven Dialog fortzusetzen und uns auf die Erzielung konkreter praktischer Ergebnisse zu konzentrieren.

Wir sind daran interessiert, regelmäßige Treffen in diesem Format abzuhalten und Mechanismen für die Überprüfung durch Experten und die Umsetzung der vorgeschlagenen Initiativen einzurichten.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!

Wir schätzen die feste und unerschütterliche Unterstützung Deutschlands für die laufenden demokratischen Transformationen und sozioökonomischen Reformen in unseren Ländern sowie für die Partnerschaft und Integration in Zentralasien sehr.

Ich möchte betonen, dass unsere vielseitigen Beziehungen tief in der Geschichte verwurzelt sind.

Im 18. Jahrhundert schuf der große Komponist der Aufklärung, Händel, in nur 20 Tagen eines seiner größten Werke – die Oper „Tamerlane“.

Der große Dichter und Philosoph Goethe widmete eine Reihe seiner berühmten Werke unseren antiken Städten – den Zentren der Zivilisation.

Ich möchte noch eine weitere historische Tatsache erwähnen.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts studierte eine Gruppe talentierter, fortschrittlicher junger Menschen aus Zentralasien an den führenden deutschen Universitäten und leistete anschließend einen großen Beitrag zur Förderung der aufklärerischen Ideen und der sozioökonomischen Entwicklung unserer Region.

Ich möchte betonen, dass wir Deutschland heute als einen unserer wichtigsten Partner bei der Erreichung nationaler Ziele der nachhaltigen Entwicklung betrachten.

Lassen Sie mich kurz auf die tiefgreifenden und grundlegenden Veränderungen eingehen, die in Zentralasien in den letzten Jahren stattgefunden haben.

Wir haben einen offenen und produktiven Dialog aufgebaut und befassen uns unabhängig mit vielen Fragen im Zusammenhang mit Grenzen, Wasser, Energie, Handel und Transit.

Vor kurzem fand hier in Astana das sechste Treffen der Staatsoberhäupter der Region statt.

Die internationale Stellung der Region wird gestärkt, die Zusammenarbeit mit den führenden Ländern im Rahmen des „Central Asia Plus“-Formats wird ausgebaut.

Das Handelsvolumen, die Investitionen, der Güterverkehr und die touristischen Reisen unserer Bürger haben sich vervielfacht.

Wir diskutieren über große regionale Projekte im Bereich der grünen Energie und der Entwicklung der Verkehrskommunikation.

Wir tauschen Erfahrungen und Technologien aus, schaffen moderne Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe und führen Finanzinstrumente ein, um Kooperationsprojekte zu fördern.

Am wichtigsten ist, dass wir uns darüber im Klaren sind, dass die Zukunft unserer Region, ihre Sicherheit und nachhaltige Entwicklung ausschließlich von unserem politischen Willen und unseren Anstrengungen abhängen.

Wir begrüßen das Interesse unserer europäischen Partner, allen voran Deutschlands, als Hauptinitiator und treibende Kraft hinter der Förderung von EU-Strategien und multilateralen Kooperationsprogrammen mit unseren Ländern, aufrichtig.

Wir bereiten uns darauf vor, im nächsten Jahr in Usbekistan ein weiteres Gipfeltreffen im Format „Zentralasien – Europäische Union“ abzuhalten, wobei wir die Investitionen in die Zukunft der Region als Hauptthema der Tagesordnung des Treffens festgelegt haben.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Konflikte und Kriege, allgemeine globale Instabilität und Unberechenbarkeit, Sanktionspolitik, zunehmender Protektionismus und viele andere Faktoren haben äußerst negative Auswirkungen auf unsere Länder und stellen die Umsetzung nationaler Programme und Reformen auf eine harte Probe.

Bei unseren Gesprächen in Samarkand habe ich Bundeskanzler Scholz bereits meine hohen Erwartungen an das heutige Treffen mitgeteilt.

In diesem Zusammenhang möchte ich unsere Vision der wichtigsten Richtungen für die Entwicklung der Zusammenarbeit mit Deutschland in Zentralasien darlegen.

Erstens: Wir legen großen Wert auf die Einrichtung einer strategischen regionalen Partnerschaft zwischen Zentralasien und Deutschland, die den gemeinsamen Interessen der Aufrechterhaltung der Stabilität, der Gewährleistung der Nachhaltigkeit und des Wohlstands der Region entspricht.

Wir halten es für angebracht, ein langfristiges Konzept für die Entwicklung unserer Partnerschaft mit Programmaktivitäten in vorrangigen Bereichen zu verabschieden.

Zur Ausarbeitung dieses Dokuments schlagen wir vor, die Möglichkeit der Einrichtung des Forums „Zentralasien – Deutschland“ der analytischen Zentren zu prüfen. Wir sind bereit, dessen erste Sitzung im nächsten Jahr in Khiwa abzuhalten – einer der historischen Städte der Region, in der früher eine große Gemeinschaft deutscher Mennoniten lebte.

Wir weisen auch den jährlichen Treffen der Leiter der Außenministerien unserer Länder eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung der Tagesordnung unserer Gipfeltreffen zu.

Zweitens: Investitionen und technologische Partnerschaften mit führenden deutschen Unternehmen.

Ich möchte darauf hinweisen, dass das Portfolio laufender und vielversprechender Projekte in Usbekistan unter Beteiligung deutscher Unternehmen einen Wert von über 20 Milliarden Euro hat.

Dazu gehören die Energie-, Chemie- und Rohstoffindustrie, der Maschinenbau, die Textil- und Lebensmittelindustrie, die Landwirtschaft, der Transport und die Logistik sowie die Produktion von Baumaterialien.

Führende deutsche Unternehmen wie Siemens, Linde, BASF, MAN, Claas, Henkel, Knauf und viele andere gehören zu unseren Partnern, die in den letzten Jahren etwa 6 Milliarden Euro in die usbekische Wirtschaft investiert haben.

Heute haben wir die Gelegenheit, mit Vertretern der deutschen Wirtschaft über langfristige Pläne zu sprechen.

In diesem Zusammenhang habe ich mehrere konkrete Vorschläge:

– Entwicklung eines Fahrplans für den Ausbau der Investitionen und der technologischen Zusammenarbeit zwischen den zentralasiatischen Ländern und Deutschland;

– Beteiligung führender deutscher Unternehmen und Banken an der Umsetzung gemeinsamer Projekte in den Sonderwirtschaftszonen und Industriezonen, die in den Grenzgebieten entstehen, sowie an großen Infrastrukturprojekten von regionaler Bedeutung;

– Einrichtung einer ständigen Plattform für den Wirtschaftsdialog – des Rates der Investoren und Unternehmer „Zentralasien – Deutschland“. Wir sind bereit, die erste Sitzung im nächsten Jahr in Usbekistan im Rahmen des Taschkent-Investitionsforums abzuhalten;

– Prüfung der Möglichkeit, ein multilaterales zwischenstaatliches Abkommen zur Förderung und zum Schutz von Investitionen zu verabschieden.

Drittens: Partnerschaft bei kritischen Rohstoffen auf der Grundlage der Einführung fortschrittlicher deutscher Kenntnisse und Technologien.

Wie bereits erwähnt, ist unsere Region reich an Bodenschätzen.

Die Deutsche Rohstoffagentur und deutsche Unternehmen könnten in diesem Bereich unsere wichtigsten Partner werden.

Hierbei beziehen wir uns auf geologische Untersuchungsprojekte, intensive Erkundung, Verarbeitung und Produktion von Produkten mit hohem Mehrwert sowie die Organisation von Transporten nach Deutschland und in andere EU-Länder.

Usbekistan ist bereit, sich an der gemeinsamen Umsetzung solcher Projekte in Nachbarländern zu beteiligen.

Die technische Unterstützung aus Deutschland und von europäischen Institutionen bei der Umsetzung des Programms zur digitalen Kartierung kritischer Mineralien und Seltenerdmetalle in unserer Region bietet vielversprechende Möglichkeiten.

Wir halten es auch für wichtig, einen verlässlichen Rechtsrahmen für eine solche Zusammenarbeit zu schaffen.

Viertens: „Grüne“ Energie. In den letzten Jahren haben alle unsere Länder aktiv Solar-, Wind- und Wasserkraft ausgebaut, Wärmekraftwerke und -netze modernisiert und Projekte für grünen Wasserstoff gefördert.

Wir schlagen vor, die Aufnahme eines Energiedialogs zwischen den zentralasiatischen Ländern und Deutschland in Erwägung zu ziehen, an dem Energieministerien, Unternehmen, Betreiber, wissenschaftliche Organisationen, Designinstitute und Branchenexperten beteiligt sind.

Wir sind daran interessiert, mit deutscher technischer Unterstützung ein umfassendes Programm zum Aufbau von Kapazitäten für Fachkräfte in der kohlenstoffarmen Wirtschaft vorzubereiten.

Fünftens: Gemeinsame Reaktion auf den Klimawandel.

Experten sagen voraus, dass die zentralasiatische Region weiterhin am anfälligsten für die Auswirkungen der globalen Erwärmung sein wird. Der Anstieg der Durchschnittstemperaturen wird doppelt so hoch sein wie der weltweite Durchschnitt.

Wir sind der deutschen Seite dankbar, dass sie die zweite Phase des Programms „Green Central Asia“ ins Leben gerufen hat, das Unterstützung bei der Umsetzung von Umweltprojekten bietet.

Wir sind auch an Folgendem interessiert:

– Durchführung gemeinsamer Bildungsprogramme und wissenschaftlicher Austausch an der Zentralasiatischen Universität für Umwelt- und Klimawandelstudien;

– Einführung von Kooperationsprogrammen zur Einführung deutscher Technologien im Bereich Wassermanagement, Modernisierung von Bewässerungssystemen, Erhaltung der Artenvielfalt und Ausbildung von Umweltspezialisten.

Wir unterstützen die Initiative der deutschen Bundeskanzlerin zur Schaffung einer Naturpartnerschaft in Zentralasien und sind bereit, uns aktiv an ihrer praktischen Umsetzung zu beteiligen.

Sechstens: Das größte Hindernis für die Vertiefung unserer Partnerschaft ist die mangelnde Verkehrsanbindung, sowohl auf dem Land- als auch auf dem Luftweg.

Wir zählen auf die Unterstützung Deutschlands bei der Einbindung europäischer Institutionen in die Entwicklung alternativer Transportkorridore, die Zentralasien mit Europa verbinden.

Wir schlagen vor, im nächsten Jahr eine gemeinsame Ministerkonferenz zur Verbesserung der Transitkapazität solcher Routen abzuhalten.

Sehr geehrte Delegationsleiter!

Die Ausstellung des kulturellen und historischen Erbes unserer Region im vergangenen Jahr im Neuen Museum in Berlin hat erneut gezeigt, wie wichtig die regelmäßige Organisation solcher Veranstaltungen ist.

Mehr als eine halbe Million Einwohner und Gäste der deutschen Hauptstadt haben sich über mehrere Monate hinweg an der Ausstellung erfreut.

Wir schlagen vor, einen gemeinsamen Plan für kulturelle Aktivitäten in unseren Ländern zu verabschieden, die Möglichkeit zu prüfen, zentralasiatische Kunst- und Filmtage in deutschen Großstädten zu veranstalten, und eine Zusammenarbeit zwischen Museen zu etablieren.

Im Bereich des wissenschaftlichen und bildungspolitischen Austauschs ist es wichtig, eine Plattform für Partnerschaften zwischen führenden Universitäten zu schaffen, Programme zur Ausweitung der Zusammenarbeit im Bereich der dualen Ausbildung zu entwickeln und Deutschlehrer unter Beteiligung des Goethe-Instituts und anderer deutscher Organisationen auszubilden.

Das große Interesse unserer Jugend am Deutschlernen zeigt sich im Sieg einer usbekischen Schülerin bei der Weltolympiade, die in diesem Sommer in Göttingen stattfand.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wir halten es für wichtig, die enge Zusammenarbeit mit Deutschland in den Bereichen Bekämpfung von Terrorismus, Extremismus und Cyberkriminalität fortzusetzen, um die Radikalisierung von Jugendlichen zu verhindern.

Die Sicherheitslage in Zentralasien ist untrennbar mit den Prozessen in Afghanistan verbunden.

Wir halten es für wichtig, eine Verschärfung der humanitären Krise in diesem Land zu verhindern, das mit seinen eigenen Herausforderungen allein gelassen wird.

In dieser Hinsicht sind wir bereit, mit Deutschland und anderen europäischen Partnern bei der Umsetzung gemeinsamer Projekte zusammenzuarbeiten, die darauf abzielen, dieses Land in die regionale wirtschaftliche Zusammenarbeit einzubeziehen und Personal, einschließlich Mädchen und Frauen, im Bildungszentrum in der Grenzstadt Termez in Fähigkeiten auszubilden, die für ein friedliches Leben in Afghanistan gefragt sind.

Abschließend möchte ich betonen, dass Usbekistan daran interessiert ist, das Potenzial der vielfältigen Zusammenarbeit Deutschlands mit der zentralasiatischen Region zu erschließen.

Ich bin zuversichtlich, dass das heutige Treffen dazu beitragen wird, unsere Länder und Völker einander näher zu bringen und unsere strategische Partnerschaft mit konkreten Projekten und Programmen zu füllen.

Vielen Dank!